29.05.2018
Ob es der Wartezeiten-Wahnsinn in vielen Spitälern ist oder jener auf Facharzttermine oder die mangelhafte diagnostische Zuordnung mit suboptimaler Behandlung. Ob es sich um für PatientInnen mühselige Therapieprogramme handelt oder die altmodische Preis-Leistungsregulierung, die keine sinnvolle systematische Vorausschau erlaubt. „Österreichs Patientinnen und Patienten leiden unter der aktuellen Situation im Gesundheitswesen“, so lautet der Befund der Austrian Health Academy, der Denkfabrik im Gesundheitsbereich. „Wir treten dafür ein, das Gesundheitssystem im Interesse aller Menschen, die in Österreich leben, nachhaltig zu verbessern und bieten Lösungen an.“
Wien, am 29. Mai 2018.
• Die Brustkrebsversorgung in Krankenhaus Hietzing erfolgt aus einer Hand.
In den meisten anderen Bundesländern müssen Patientinnen in mehrere Krankenhäuser fahren, um dieselbe Leistung zu bekommen. Zu diesem Patiententourismus kommt es, weil das erste Krankenhaus die Diagnose durchführt, das zweite die Chemotherapie und das dritte die Bestrahlungen.
• Österreich hat einen dramatischen Mangel an Kinderkassenärztinnen und -ärzten, KinderneurologInnen und KinderpsychiaterInnen. Die Bedingungen ein Medizinstudium anzutreten und die Ausbildung vor allem zum Allgemeinarzt entspricht nicht den Methoden, die vor allem in der Beziehung Allgemeinarzt-PatientIn notwendig sind.
• Bei der Diabetesbehandlung werden derzeit durch das Disease-Management-Programm (DMP) nur etwa zehn Prozent der betroffenen PatientInnen erreicht. Es wurde zwar die Stakeholderstrategie ausgearbeitet. Das Expertenpapier beinhaltet die wichtigsten Wirkungsziele und Handlungsempfehlungen und harrt im Gesundheitsministerium auf seine Umsetzung.
Das alles sind Beispiele, die die Austrian Health Academy (aha.) aufgreift und einer Lösung zuführen möchte.
„Vorhandene Strukturdefizite“
aha.-Präsident Dkfm. Dr. Claus Raidl sieht den Föderalismus als eine der Hauptursachen für die Probleme im Gesundheitswesen. Er nennt die Krankenhäuser in Kittsee/Hainburg oder Mödling/Baden, wo jeweils Spitäler in unmittelbarer Nähe voneinander errichtet worden sind. „Das sind Kompromisse auf dem Rücken der Patienten und Patientinnen. Diese lokalen Besonderheiten verschlingen Unsummen. Die Wünsche der Bundesländer sind zwar verständlich, aber am Ende haben wir neun Suboptima und das Geld fehlt für die bessere Versorgung der Patientinnen und Patienten“, sagt Raidl.
„Zentralisierung“ – „zentralisierte, dezentrale Struktur“
„Zwei kleinere Spitäler zu bauen, kostet mehr Geld als ein großes Spital zu errichten“, sagt Raidl. Damit aber am Ende mehr Geld für die Patientinnen und Patienten bleibt, fordert Raidl „eine wirksame bundeseinheitliche Spitalsplanung. Die Sozialversicherung und der Bund bezahlen schließlich österreichweit mehr als die Hälfte der Leistungen im Spitalsbereich. Es fehlt ihnen aber die Macht, sie umzusetzen. Wenn die Kompetenz zum Bund wandert, wird weniger Geld verschwendet und wir können endlich die Qualität steigern.“
Das Gesundheitssystem betreut Menschen, die je nach Erkrankung und ihrem psychosozialen Hintergrund sehr heterogen sind. Sie benötigen äußerst unterschiedliche Angebote, deshalb muss eine zentrale Planung diese Unterschiede dezentral berücksichtigen.
Bei Krankenversicherungsträgern plädiert MMag. Maria Hofmarcher, Ökonomin und aha.- Obmann-Stellvertreterin daher für die Einführung einer „zentralisierten, dezentralen Struktur“. Diese Struktur habe den Vorteil, dass „eine Straffung der Kassenlandschaft vorgenommen wird, und regionale Präferenzen der Versicherten besser berücksichtigt werden können.“ Konkret sollen alle regional tätigen Krankenversicherungsträger ihre Mittel gemeinsam einheben, zusammenführen, verwalten und Leistungserbringer bezahlen. Das sei gut geeignet, um Herausforderungen besser zu lösen: wie die wachsende Anzahl chronisch kranker Menschen, den Aus- und Aufbau der ambulanten Versorgung außerhalb von Krankenanstalten, die Aufstockung der personellen Ressourcen und die bessere Abstimmung der Versorgung bei Gesundheit und Pflege.
aha-Forderung: Verantwortung und Finanzierung in eine Hand
aha.-Vizepräsident Univ. Prof. Dr. Otto Lesch stört, dass „sich das österreichische Gesundheitssystem noch immer nach den Interessen der Berufs- und Bezahllobbys richtet. Die Partikularinteressen spielen eine deutlich größere Rolle als die Bedürfnisse und Möglichkeiten von Patientinnen in ihren Nöten und Ängsten.“
Eine Modellregion sei ein erster Schritt, um Wege aufzuzeigen, wie die Versorgung patientenorientiert ausgebaut werden könne und kostengünstig bleibe. In einer Modellregion arbeiten Sozialversicherung, Länder und Bund enger und koordiniert zusammen, damit der Zugang und die Versorgung chronisch kranker Menschen besser werden. Dadurch könne Qualität gesteigert und Ineffizienz gemildert werden, die durch die ausgeprägte Mischfinanzierung in Österreich entstanden ist.
Lesch bringt zur Bündelung von Verantwortung und Finanzierung ein Beispiel aus Serbien: „Zwei Jahre lang haben wir die bestehende Alkoholtherapie beobachtet. Auf der Basis unserer Erkenntnisse haben wir dann flächendeckend eine neue Alkoholtherapie eingeführt. Diese haben wir zwei Jahre hindurch evaluiert. Das Ergebnis: Es gab mehr Therapieerfolge und die Behandlung wurde deutlich günstiger.“ Das sei laut Lesch nur möglich gewesen, weil die damalige Gesundheitsministerin Organisation und Finanzen in einer Hand hatte.
Leistungen besser abstimmen
Das Beispiel zeigt: Die Finanzierung der Gesundheits- und Pflegeleistungen muss besser abgestimmt werden: „Zum Beispiel indem die ambulante Versorgung innerhalb und außerhalb der Spitälern von einer Hand verwaltet wird.“ Hofmarcher fordert daher, „dass die Mittel für mobile Pflege und ambulante Versorgung in einen gemeinsamen Topf kommen. Über Planung und Verwendung der Mittel muss dann gemeinsam entschieden werden.“ Die Gesellschaft definiert, wieviel ihr das hohe Gut Gesundheit Wert ist und dann sind nur Einsparungen auf rein ökonomische Basis nicht gestattet. Die Austrian Health Academy beleuchtet dieses Problem als Ganzes aus Sicht der BürgerInnen und macht Vorschläge, die keine Einzelinteressen spiegeln, sondern Verbesserungen für die Menschen sind.
„Drohender Ärztinnen- und Pflegerinnenmangel“
Eine Folge der Missstände ist der drohende Personalmangel: Laut einer neuen internationalen Studie steuert Österreich auf einen Mangel an Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegerinnen und Pflegern zu: Laut der Studie werden in Österreich im Jahr 2030, also in zwölf Jahren, knapp 1.100 Ärztinnen und Ärzte und rund 23.000 Pflegerinnen und Pfleger fehlen. Deutschland hingegen werde 2030 sowohl bei Ärztinnen und Ärzten als auch bei Pflegerinnen und Pflegern einen leichten Überschuss haben. Hofmarcher: „Hier zeigen sich Defizite bei der Planung. Es besteht Handlungsbedarf bei der Sicherstellung der ärztlichen und nicht-ärztlichen Versorgung.“ Neben der Zahl der Ärztinnen und Ärzte müsse sich die Politik auch stärker der derzeit ungenügenden Ausbildung der Allgemeinmediziner widmen. Lesch: „Die Ausbildung ist heute viel zu sehr wissenschaftlich. Hier fehlt eindeutig der Aspekt der sozialen Kompetenz. Meiner Meinung nach sollten mindestens 15 Prozent der StudentInnen auf die Aufgaben eines Hausarztes vorbereitet werden.“
Auch bei der praktischen Ausbildung in Spitälern vermisst Lesch Praxisnähe: „Die angehenden Ärztinnen und Ärzte werden zur Routine missbraucht, aber es wird ihnen nicht die Vielfalt der Allgemeinmedizin beigebracht.“
aha.-Forderung: Ausbau der Primärversorgung
Zur Verbesserung der Situation sollen Primärversorgungszentren beitragen. Sie müssen in Österreich Tradition werden. Bis heute steht die rasche Wiederherstellung von Patientinnen und Patienten im Vordergrund. Die koordinierte, wohnortnahe Versorgung ist hingegen noch immer unausgereift. Gleichzeitig muss mehr für Gesundheit getan werden und der Bedarf nach Versorgung wächst. „Wir haben aktuell noch keinen generellen Ärztemangel, wir haben aber ein Verteilungsproblem und andere Gesundheitsberufe sind oft nicht adäquat eingesetzt. Im Vergleich zum Rest der Eurozone wird in Österreich relativ wenig für ambulante Versorgung ausgegeben“, kritisiert Raidl.
aha.Forderung: Chronische Leiden verhindern, erkennen und richtig behandeln
Laut Hofmarcher könne die Versorgung insgesamt deutlich verbessert werden, „weil Geld oft nicht bei den PatientInnen und ihrer Betreuung ankommt. Viele Menschen arbeiten zwar sehr engagiert. Da aber die gut koordinierte Versorgung am Ende vom Einsatz und Goodwill Einzelner abhängig ist, werden viele Patientinnen und Patienten unzureichend versorgt – etwa bei vielen chronischen Erkrankungen.“
Daher müssen laut aha. chronische Erkrankungen, ihre Früherkennung und Möglichkeiten der Behandlung stärker in den Fokus gerückt werden. Denn diese Leiden werden in Zukunft noch mehr Menschen betreffen als heute – Männer und Frauen jeweils unterschiedlich. „Wir brauchen mehr und bessere Betreuungsprogramme für spezifische Krankheiten und mehr Gesundheitskompetenz der Menschen“, sagt die Ökonomin. Auch die verbesserte Koordination von Leistungen zwischen Gesundheit und Pflege sei ein Muss.
Versorgungsziele für Gesundheit und Glück bis ins Alter
Der Wohlfahrtsstaat bietet in vielen Bereichen Sicherheit und Schutz. Trotzdem bestehen in jedem Lebensalter Risiken für körperliche oder psychische Belastungen. Österreich brauche daher vielfältige Unterstützungsangebote, die den gesamten Lebenslauf eines Menschen abbilden.
„Um das zu erreichen“, sind laut Lesch und Hofmarcher „Versorgungsziele dringend nötig und ernst zu nehmen. Zuerst müssen wir den Bedarf und die dafür notwendigen Leistungen und Ziele definieren, an denen sich dann die Umsetzung zu orientieren hat.“ Dies gilt für Prävention, Früherkennung und würdevolle Begleitung.
Allgemeine Zielsetzungen von aha.
Für Dr. Michael Kraus, einen der Mitgründer und Obmann der Austrian Health Academy, ist aha. „die einzigartige Denkfabrik für den Gesundheitsbereich. Wir forschen nicht nur nach neuen Wegen, um dieses komplexe System der Gesundheitsversorgung positiv zu verändern, wir gehen auch ein Bündnis mit den Bürgerinnen und Bürgern ein. Gerade diese Allianz stattet uns mit einem Umsetzungsmuskel aus, damit wir den Entscheidungsträgern im Gesundheitswesen auf Augenhöhe begegnen können. Mit unserer tiefgründigen, beharrlichen Arbeit und unserem weit verzweigten Netzwerk legen wir den Grundstein für nachhaltige Veränderungen im Gesundheitswesen.“
Für die neue Denkfabrik haben die Gründer und das Präsidium bereits zahlreiche Fördermitglieder angesprochen: „Unsere Ideen kommen sehr gut an. Damit wir unsere Ziele erreichen können, streben wir ein Jahresbudget von etwa zwei Millionen Euro an“, sagt Kraus. Die aha.-Mitgliedschaft ist ab einem jährlichen Mitgliedsbeitrag von 150 Euro möglich. Ab einem Förderbeitrag von 5.000 Euro pro Jahr haben Förderer Recht auf einen Sitz im aha-Förderbeirat, ab einem Förderbeitrag von 20.000 Euro auf einen Sitz im aha.-Aufsichtsrat.
Über die Austrian Health Academy (aha.)
Die Austrian Health Academy (aha.) ist eine einzigartige Denkfabrik im Gesundheitsbereich, die nach neuen Wegen zu einer tragfähigen und zukunftsorientierten Gesundheitspolitik forscht. Dafür stellt sie verlässliche Daten zur Verfügung. Die aha. sucht den Dialog mit den Menschen im Land und berät unabhängig und evidenzbasiert Politik und andere Akteurinnen und Akteuren. Auf diese Weise trägt die Austrian Health Academy zu einer gerechten, wirksamen und effizienten Gestaltung von Gesundheitspolitik bei. Gesundheit und Zufriedenheit – die wichtigsten Aspekte von Lebensglück – stehen für die aha. im Mittelpunkt. Kontaktmöglichkeiten: +43 (0)1 532 28 41–0, www.austrianhealthacademy.at
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